Archiv für den Monat: November 2023

Digital-Gipfel 2023 in Jena

Unter dem Thema „Digitale Transformation in der Zeitenwende. Nachhaltig. Resilient. Zukunftsorientiert.“ findet der Digital-Gipfel der Bundesregierung am 20. und 21. November 2023 in Jena statt.

„Deutschland befindet sich in einer Zeitenwende. Multiple Herausforderungen nachhaltig zu bewältigen, aber auch die Resilienz zu stärken sowie eine bessere Zukunftsfähigkeit zu schaffen, ist heute ohne Digitalisierung nicht denkbar.“ [1] So steht es auf der Website des Digitalgipfels. Leider wird der Begriff der Zeitenwende dort nicht näher erläutert, wie auch der gesamte dort zu lesende Text eher eine Ansammlung von Schlagwörtern ist, die alles und nichts sagen.

Es gibt in der IT einen schon recht alten, aber nach wie vor gültigen Spruch: „Mit einem Rechner löse ich die Probleme, die ich ohne ihn nicht hätte.“ Wenn heute der Begriff der Digitalisierung in aller Munde ist, so erscheinen die Aussagen dazu vielfach in dem gleichen Licht wie der zitierte Spruch – es geht einfach nur um Digitalisierung an sich und als solche. Zweck und Sinnhaftigkeit der Digitalisierung bezogen auf die anstehenden akuten Probleme unserer Gesellschaft werden kaum bis gar nicht hinterfragt. Digitale Techniken können ein wunderbares Werkzeug in vielen Bereichen unserer Gesellschaft sein, aber eben nur ein Werkzeug. Wie jedes Werkzeug muss es auf etwas angewandt werden, sonst ist es weitgehend nutzlos. Und es ist dabei sehr wohl ein grundlegender Unterschied, ob es zur Bewältigung der komplexen Herausforderungen des Erhalts des Lebensraums Erde dient, oder zur Steigerung des Profits global agierender Tech-Konzerne durch Manipulation vieler Nutzer der sogenannten sozialen Medien.

Der Zweck der Digitalisierung muss den Zielen der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft untergeordnet sein. Diese Forderung bezieht sich sowohl auf den mit der Digitalisierung unmittelbar verbundenen Ressourcenverbrauch als auch auf die daraus erwachsenden gesellschaftlichen und ökologischen Konsequenzen.

ökologischer Fußabdruck der Digitalisierung

Produktion und Betrieb digitaler Geräte sind inzwischen für einen nicht unerheblichen Teil des weltweiten Materialverbrauchs und der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Während die Prozessoren immer leistungsfähiger und energiesparsamer werden, konterkariert die schiere Anzahl von Smartphones, Laptops, intelligenten Geräten sowie deren zunehmende Nutzung und die damit einhergehende enorm wachsende Zahl digitaler Infrastrukturen, einschließlich der wie Pilze aus dem Boden schießenden Rechenzentren, das Energieeinsparpotenzial.

In den 90er Jahren wurde angenommen, das die Digitalisierung der Wirtschaft materielle und energetische Ressourcen schonen könnte, weil Daten und Informationen schließlich „immateriell“ sind. Daran glaubt heute niemand mehr, denn der Energieverbrauchs-Rucksack dieser Datennutzung ist immens. Dazu hier ein paar ausgewählte Fakten:

  • Wenn das Internet ein Land wäre, wäre es gemessen am Stromverbrauch das drittgrößte Land der Welt! [2] Energie in Form von Strom wird benötigt für die Endgeräte, den Transport der Daten und den Betrieb und die Kühlung der Server in den Rechenzentren.
  • Fast 80% des Datenverkehrs wird durch das Streaming von Videos erzeugt. Wer ein nur zehnminütiges YouTube-Video schaut, verbraucht ähnlich viel Energie, wie der fünfminütige Betrieb eines elektrischen 2.000-Watt-Ofens. [3]
  • Die Rechenzentren in Frankfurt am Main verbrauchen ca. 20 Prozent des Stroms in der Stadt und haben damit bereits den Frankfurter Flughafen überholt. [3]
  • Deutschlandweit ist der Stromverbrauch von Rechenzentren höher als der von Berlin. [4]
  • Der weltweite jährliche CO2-Ausstoß des Internets ist inzwischen fast doppelt so groß wie der des globalen Flugverkehrs. [5]
  • Der Mobilfunkstandard 5G erhöht den Energiebedarf des Mobilfunknetzes vergleichsweise um den Jahresverbrauch der 2,5 Millionen Einwohner der Städte Köln, Düsseldorf und Dortmund. [2]
  • Jeder Google-Nutzer könnte mit seinen monatlichen Suchanfragen eine 60-Watt-Glühlampe für drei Stunden betreiben. Und um die durch Google-Anfragen verursachten CO2-Emissionen auszugleichen, müssten zwei Millionen Bäume pro Tag gepflanzt werden. [2]

Dabei hat die Vernetzung von Smart Homes, von autonomen Autos, des Internet-der-Dinge bzw. der Industrie 4.0 noch nicht einmal ansatzweise begonnen.
Jedoch ist nicht allein der Energieverbrauch das Problem. Fragen der Langlebigkeit und Reparierbarkeit von IT-Geräten, der Verwendung von open-source-Techniken und Recycling sind ein weiterer Schlüssel zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks digitaler Technologien und Infrastrukturen. Noch wichtiger ist aber die Reflexion über den tatsächlichen Bedarf von Technologien. Nicht jedes digitale Gerät ist sinnvoll, und nicht jede Dienstleistung muss digitalisiert werden. Gadgets im smarten Zuhause dienen oft nur dem Komfort und nicht der Energieeffizienz. Autonome Fahrzeuge, die Luxus und Komfort versprechen, können noch mehr Straßenverkehr nach sich ziehen. Die klare Vision für die Rolle digitaler Technologien und ihre Unterordnung unter die Ziele einer sozial-ökologischen Transformation wird auch bestimmen, in welchem Umfang immer mehr Geräte und Anwendungen tatsächlich benötigt werden.

Soziale Teilhabe aller Menschen muss gewährleistet sein

Das Programm des Digitalgipfels 2023 in Jena ist geprägt von einer Art „Wir digitalisieren alles“-Mentalität. Notwendig ist jedoch eine Denkweise, die auf einer maßvollen und umsichtigen Nutzung von digitalen Technologien beruht. Die Beibehaltung der Möglichkeit, nicht-digitale Alternativen wählen zu können, kann dabei nicht nur als Wohlstandsgewinn betrachtet werden, sondern ist zur Sicherung der sozialen Teilhabe vieler Menschen schlicht notwendig.

So wird beispielsweise beim Kauf eines Spartickets am Schalter eines DB Reisezentrums seit Sommer 2023 verlangt, eine E-Mail-Adresse oder Mobiltelefonnummer anzugeben [6]. Über den Grund lässt sich nur spekulieren. Was aber macht eine Person, die weder eine E-Mail-Adresse noch ein (mobiles) digitales Endgerät hat und sich den deutlich teureren Flexpreis nicht leisten kann?

Ein anderes Problemfeld tut sich bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen auf. Hier soll die elektronische Patientenakte eingeführt werden. Neben unzureichend beantworteten Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit in Bezug auf derart sensible Daten gibt es keine einheitliche Verfahrensweise bezüglich der Technik. Einige Anbieter setzen auf eine Smartphone-App. Was jedoch macht ein Patient, der kein Smartphone hat oder ein solches nicht hinreichend sicher bedienen kann? [7]

Digitalisierung muss demokratisch sein und dem Gemeinwohl dienen

Eine Handvoll Big-Tech-Unternehmen bestimmt heute die Form und das Design vieler digitaler Technologien – und erzielt damit den größten Anteil der wirtschaftlichen Wertschöpfung im Bereich der Digitalwirtschaft. Als Aktienunternehmen zielen ihre Geschäftsmodelle auf Gewinnmaximierung, auf Bindung der Nutzer*innen an ihre Dienste und die ungefragte Gewinnung persönlicher Daten ab. Diese Daten sind in vielen Fällen die eigentliche Grundlage für digitale Innovationen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Unternehmen Daten horten, bewachen und monetarisieren – sei es durch Aufkäufe von Start-Ups der künstlichen Intelligenz oder abgeschottete Märkte in den sozialen Medien.

Der Zugang zu Daten ist jedoch eine entscheidende Voraussetzung für digitale Innovationen, die der Nachhaltigkeit dienen. Für multimodale Mobilitätsanwendungen werden beispielsweise Daten über die Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln, die Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage und das Management von Fahrgastbewegungen benötigt. Kreislaufwirtschaftliche Geschäftsmodelle basieren auf Produktdaten für Reparatur, Wiederverwendung und Recycling. Und Anwendungen zur optimalen Abstimmung von variablem Stromangebot und -nachfrage können nur mit Echtzeitkenntnissen über die Strommärkte erfolgreich sein.

Der Schlüssel für eine dafür notwendige gemeinwohlorientierte Daten-Gesetzgebung ist die Erleichterung des Zugangs vieler Akteure bei gleichzeitigem Schutz sensibler Informationen und Gewährleistung der Privatsphäre. Daten- Gesetzgebung für das Gemeinwohl umfasst daher eine dreifache Strategie: Erstens muss die Datennutzung für Zwecke, die soziale und ökologische Risiken verstärken – insbesondere solche, die die digitale Souveränität untergraben – wirksamer eingeschränkt und reguliert werden. Zweitens braucht es eine sorgfältige Erstellung von Rechtsvorschriften, um Datenmonopole zu öffnen und die Zugänglichkeit zu relevanten Daten für unterschiedlichste Akteure zu verbessern. Und drittens müssen neue Institutionen geschaffen werden, die die gemeinschaftliche Nutzung von Daten und eine gemeinschaftsorientierte Anwendung datenbasierter Produkte ermöglichen.

Digitale Technologien müssen im Sinne der Suffizienz und der Kreislaufwirtschaft eingesetzt werden

Eine tiefgreifende Transformation, die dem heute bereits fortgeschrittenen Ausmaß der Klima- und Biodiversitätskrise gerecht wird, erfordert nicht nur Effizienzsteigerungen, sondern auch wirkungsvolle Strategien für Suffizienz und Kreislaufwirtschaft. Digitale Technologien können dazu beitragen, dass bei einem solchen Wandel umweltpolitische Ziele und Ziele für ein ‚Gutes Leben‘ besser in Einklang gebracht werden. Intelligente Logistik erleichtert beispielsweise die Mobilität, die Reiseplanung und den Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf öffentliche und gemeinsam genutzte Verkehrsmittel. Intelligente Gebäudedesigns und Sharing-Plattformen bieten den erforderlichen Raum für alle Nutzer*innen und reduzieren gleichzeitig den ressourcenintensiven Bau neuer Gebäude. Darüber hinaus können Secondhand- und Sharing-Tools die Notwendigkeit des Kaufs neuer Waren verringern und gleichzeitig Konsumbedürfnisse befriedigen. Sie tun dies mit dem Nebeneffekt, dass sie globale und generationenübergreifende Ungleichheiten ausgleichen: Suffizienzorientierte Lebensstile sind wesentlich erschwinglicher und lassen gleichzeitig mehr Raum für die Befriedigung der Bedürfnisse künftiger Generationen.

Vierter „Production Gap Report“ veröffentlicht – Globale Öl- und Gasförderung verschärft die Klimakrise

Am 8. November 2023 erschien der vierte „Production Gap Report“ – ein Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, der erstmals 2019 veröffentlicht wurde. Der Bericht zeigt die die Diskrepanz zwischen der von den Regierungen geplanten Produktion fossiler Brennstoffe und dem globalen Produktionsniveau, das mit einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C oder 2°C vereinbar ist. Der Bericht und die zugehörigen Materialien können online unter https://productiongap.org/2023report abgerufen werden.

Quelle: SEI, Climate Analytics, E3G, IISD, and UNEP. (2023). The Production Gap: Phasing down or phasing up? Top fossil fuel producers plan even more extraction despite climate promises. Stockholm Environment Institute, Climate Analytics, E3G, International Institute for Sustainable Development and United Nations Environment Programme.
https://doi.org/10.51414/sei2023.050

Fossile Brennstoffe lassen wichtige Klimaziele im wahrsten Sinne des Wortes in Rauch aufgehen. Es ist höchste Zeit für einen Wandel. Seit ihrer ersten Quantifizierung im Jahr 2019 ist die globale Produktionslücke (Production Gap) weitgehend unverändert geblieben. In den Kernthesen des Reports 2023 wird belegt, dass nach wie vor die Regierungen für das Jahr 2030 planen, mehr als die doppelte Menge an fossilen Brennstoffen zu produzieren, als es für eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C maximal zulässig wäre. Insgesamt führen die Pläne und Prognosen der Regierungen zu einem Anstieg der weltweiten Kohleproduktion bis 2030 und der weltweiten Öl- und Gasproduktion bis mindestens 2050. Dies steht im Widerspruch zu den Verpflichtungen der Regierungen im Rahmen des Pariser Abkommens und kollidiert mit den Erwartungen, dass die weltweite Nachfrage nach Kohle, Öl und Gas ihren Höhepunkt innerhalb dieses Jahrzehnts erreichen wird, auch ohne neue politische Maßnahmen.

Die wichtigsten Erzeugerländer haben sich zwar dazu verpflichtet, Netto-Null-Emissionen zu erreichen und haben auch Initiativen zur Reduzierung der Emissionen aus der Produktion fossiler Brennstoffe ergriffen. Aber keines hat sich verpflichtet, die Kohle-, Öl- und Gasproduktion im Einklang mit der Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen.

Angesichts der Risiken und Unwägbarkeiten der einschlägigen Verfahren des Climate Engineering müssen die Länder einen nahezu vollständigen Ausstieg aus der Kohleproduktion und -nutzung bis 2040 und eine kombinierte Reduzierung der Öl- und Gasförderung und -nutzung bis 2050 um mindestens drei Viertel gegenüber dem Stand von 2020 anstreben. Darüber hinaus muss ein gerechter Übergang weg von fossilen Brennstoffen den unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten der Länder Rechnung tragen. Regierungen mit größeren Übergangskapazitäten sollten ehrgeizigere Reduktionen anstreben und bei der Finanzierung des Übergangsprozesses in Ländern mit begrenzten Kapazitäten helfen.

Die Produktionslücke bei fossilen Brennstoffen

Die Produktionslücke bei fossilen Brennstoffen – die Differenz zwischen den Plänen und Prognosen der Regierungen und den Werten, die mit einer Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C und 2°C, ausgedrückt in Einheiten von Treibhausgasemissionen aus der Gewinnung und Verbrennung fossiler Brennstoffe – bleibt groß und vergrößert sich im Laufe der Zeit.

António Guterres, der Generalsekretär der UNO kommentierte diesen Bericht wie folgt:

„Die Regierungen verdoppeln buchstäblich die Produktion fossiler Brennstoffe, und das bedeutet doppeltes Leid für die Menschen und den Planeten. Wir können die Klimakatastrophe nicht bewältigen, ohne ihre Ursache zu bekämpfen: die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Die COP28 muss ein klares Signal aussenden, dass das Zeitalter der fossilen Brennstoffe vorbei ist – dass sein Ende unausweichlich ist. Wir brauchen glaubwürdige Zusagen für den Ausbau der erneuerbaren Energien, den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und die Steigerung der Energieeffizienz bei gleichzeitiger Gewährleistung eines gerechten und ausgewogenen Übergangs.“